In
Amsterdam Zuid haben sie in der
NS-Zeit vorübergehend Zuflucht
gefunden: Anne und Margot Frank aus
Frankfurt am Main und ihre Eltern,
Werner Deutschland aus Hemelingen,
die Familie Silten aus Berlin und
ungezählte weitere, mehrheitlich
jüdische Verfolgte bildeten im
Flüsseviertel eine
Schicksalsgemeinschaft. Woher kamen
sie? Was ist aus ihnen geworden? Wie
wird ihrer gedacht? Nach dem Bremer
NS-Opfer Werner Deutschland hat
unser Bremer Geschichtsverein
Lastoria e.V. ein internationales
Gedenkprojekt benannt: „Deutschland
auf der Flucht. Exil in Amsterdam
Zuid 1933-1945“. Und so heißt auch
die Geschichtswerkstatt am Sonntag,
22. Mai, 10 bis 18 Uhr, in der Villa
Ichon, Goetheplatz 4. Deutsche und
niederländische Forscherinnen
sprechen über ihre Recherchen, über
Menschenrechte und über
Erinnerungskultur. Zum Programm
gehören außerdem Lesungen aus den
Memoiren von Child Survivors, ein
Kurzkurs in Niederländisch, eine
Stolpersteintour, fünfminütige
Runden vor offenem Mikrofon, die
Bekanntgabe der ersten
Preisträgerinnen und Preisträger des
Silten Preises und ein
Mitsingkonzert mit jüdischen
Liedern. Eine
Anmeldung ist erforderlich. Die
Teilnahme ist kostenlos, Spenden
werden erbeten.
Moderne
Formen der Erinnerungskultur werden
während der Geschichtswerkstatt
präsentiert. Wie zum Beispiel der
Stolperstein-Musikclip „A Rose for
Nettie Green“ des verstorbenen
Musikers Paul Lindsay und des
Filmemachers Alasdair Jardine oder
der Bremer Audiowalk „Keine
Zuflucht. Nirgends. Auf den Spuren
der Familie Rosenberg“ aus dem
mehrfach preisgekrönten Projekt „Aus
den Akten auf die Bühne“, das die
Historikerin Eva Schöck-Quinteros
(Uni Bremen) und der Schauspieler
Peter Lüchinger (Bremer Shakespeare
Company) gemeinsam verantworten. Die
Amsterdamer Anthropologin und
Buchautorin An Huitzing spricht über
die bayerische Fotografin Annemie
Wolff, die in ihrem Studio in
Amsterdam Zuid Hunderte von
jüdischen Flüchtlingen porträtiert
hat. Auch die Historikerinnen
Christine Kausch (Uni Münster),
Monika Felsing (Bremen/Lastoria
e.V.), Miriam Keesing (Dokin
Stiftung, Amsterdam) und Barbara
Johr (Initiativkreis Stolpersteine
Bremen) halten Vorträge über ihre
Forschung oder über einzelne
Schicksale, wie sie in Bremen unter
anderem auch vom Verein “Erinnern
für die Zukunft” dokumentiert
werden.
Wie es
sich anfühlt, in den Niederlanden
sprachlich neu anzufangen, kann Emma
Lehbib aus eigener Erfahrung
vermitteln. Die junge Bremerin,
deren Mutter als Kind vor der
marokkanischen Armee aus ihrer
Heimat Westsahara flüchten musste,
studiert in Groningen
Internationales und Europäisches
Recht. Auch Musik und Lesungen
gehören zum Programm der
Geschichtswerkstatt: Der Bremer
Musiker Burghard Bock und die
Frankfurter Musikerin Veronika
Bloemers gestalten ein kurzes
Mitsingkonzert mit jüdischer Musik,
und zwei Mitglieder der
Hörbuchgruppe des Geschichtsvereins
lesen aus den Kindheitsbiografien
von Überlebenden. Auch aus den
Erinnerungen von R. Gabriele S.
Silten (1933-2021), die mit
Unterstützung des Lastoria e.V.
übersetzt und als deutschsprachige
Taschenbücher (“Zwischen zwei
Welten” und “Ist der Krieg vorbei?”)
2020 und 2021 bei BOD erschienen
sind. Gabriele Silten hat gemeinsam
mit ihren Eltern Theresienstadt
überlebt, kehrte nach ihrer Rettung
zurück in die Niederlande und
emigrierte dann in die USA. Als
aktive Zeitzeugin, als Buchautorin
und als Dichterin hat die
Professorin für Sprachen ihren
Beitrag dazu geleistet, dass die
Verbrechen der Nazis nicht in
Vergessenheit geraten und die Opfer,
wie ihr bester Freund Hans Cossen
aus Norden, in Erinnerung bleiben.
Der Silten
Preis zum Gedenken an die Berliner
Apothekerfamilie Silten wird
erstmals an Schülerinnen, Schüler
oder Studierende vergeben, die sich
mit Holocaustforschung beschäftigt
haben.
Die offene
Geschichtswerkstatt soll engagierte
Laien und Profis miteinander in
Kontakt bringen, Impulse für
Diskussionen über Menschenrechte
geben und den internationalen
Austausch von Rechercheergebnissen
fördern. Wer als Teilnehmerin oder
Teilnehmer das eigene Projekt kurz
vorstellen will, kann sich um eine
der Fünf-Minuten-Sessions des
Offenen Mikros bewerben. Kontakt
unter mail@lastoria-bremen.de.
Es gelten die dann aktuellen
Corona-Regelungen. Das ausführliche
Programm wird digital verschickt.